Eine Weihnachtsgeschichte aus Sardinien

Beppe

Sehr aktives Mitglied
Heute ne kleine Weihnachtsgeschichte in der Nuova Sardegna gelesen.
Ich find sie ganz nett, lesens- und auch weitergabewert.

Die magische Begegnung zwischen dem Weihnachtsmann und der kleinen Ilaria
Eine Weihnachtsgeschichte von Matteo Porru


Das Zimmer auf der rechten Seite ist das letzte auf dieser Krankenhausstation:
Wären die großen Fenster nicht undurchsichtig, könnte man von hier aus leicht nach draußen direkt auf den Strand und aufs Meer schauen. Nicola rückt seinen Bart und seine Brille zurecht, die ihm nach rechts auf seiner leicht schiefen Nase gerutscht ist. Schwitzend rückt er sich seinen breiten. schwarzen Ledergürtel zurecht und betrachtet sein rotes Weihnachtsmann-Ordinat. Er ist schon sein ganzes Leben lang der Weihnachtsmann, er der großgewachsene Nicola mit seinem massigen Körper. Er war es schon seit jeher, auch wenn andere ihn für naiv und kindisch erklärten, ihn verspotteten und er deswegen auch manchmal einfach nur verschämt den Kopf versteckte.

Er ist heuer wieder der Weihnachtsmann, weil alles Schlechte ihn nicht interessiert, auch heute noch nicht. Heute ist er der Weihnachtsmann, der ausnahmsweise wirklich ist und lacht, um Menschen Freude zu bereiten und sie an Träume glauben zu lassen. Er ist derjenige (der ausnahmsweise oder zumindest nur für einige), wenn er denn mal kommt, meistens auch Freudenmomente bringt. Seit Stunden ist er in dieser Rolle und seit Stunden glauben alle an ihn. Wenn da nur nicht immer diese verdammte rutschende Brille wäre.

"Die Brille", sagt Nicola und wiederholt es, "diese schei.. Brille...".
Noch bevor er die Türklinke runterdrücken kann, öffnet ihm bereits eine Krankenschwester die Tür. Sie sieht ihn fast so an, als ob er ein Gespenst oder jedenfalls ein übernatürliches Wesen wäre.
"Sei vorsichtig", flüstert sie, "sei wachsam, sie ist ein schwieriges Kind".

Das Kind. Nicola wirft dem Kind einen ersten Blick über die Schulter der Krankenschwester hinweg zu. Es sitzt im Schneidersitz auf dem Bett; einem makellosen weißen Bett. Durchs Fenster dringen vom Meer her nur ganz leichte Geräusche von Wind & Wellen.

Das Mädchen hat wunderschöne Augen, von ganz tiefem Grün. Ein so perfektes Grün hat er noch nie gesehen.
"Ich bin Babbo Natale"., und er will gerade noch etwas sagen, aber die Krankenschwester unterbricht ihn sofort. "Das sind Prothesen: Ilaria ist blind". Nicola tritt zögerlich ein und schluckt verhalten. Kalter Schweiß tritt auf seine Stirn. Er hebt an, seine Babbo-Natale Sprüche aufsagen zu wollen, aber das kleine Mädchen unterbricht ihn sofort und macht sich über ihn lustig: "Hör auf, herumzualbern", sagt sie, "ich kann sonst das Meer nicht mehr hören".

Nicola würde in diesem Augenblick am liebsten abhauen und weglaufen, besinnt sich aber wieder. Er nähert sich dem Mädchen und setzt sich ihr gegenüber auf einen Schemel, der laut ächzend etwas nachgibt, sobald er sein ganzes Gewicht dort auflastet. "Was ist los?", fragt Ilaria, denn dieses Geräusch ist ihr ungewohnt und macht sie hellhörig.
"Es liegt daran, dass Babbo zu viel wiegt und dies offensichtlich nicht der richtige Stuhl ist", antwortet Nicola und während er antwortet rutscht seine Brille vollends rechts vom Kopf und fällt runter. Er hebt sie auf, klappt sie zusammen und legt sie neben Ilaria direkt auf's Bett.
"Wie heißen Sie, mein Herr?", fragt Ilaria.
Babbo atmet tief durch und muß sich plötzlich selbst gestehen:
'Babbo Natale, das wäre jetzt wohl offensichtlich ein denkbar schlechter Name'.
"Nicola, das ist mein Name",sagt er.
Ilaria glaubt nicht an den Weihnachtsmann, das hat sie nie getan. Sie hat bisher im Leben zu viel durchlitten und (Augen auf!), das schönste Geschenk (ihre Sehkraft) hat sie leider nie bekommen. Aber sie amüsiert sich köstlich über das Babbo Natale Spiel mit den Kostümen.

Nicola lehnt sich zu ihr hinüber und zieht ihr seinen Bart an, zieht seinen Mantel aus und wirft ihn ebenfalls um sie herum, zieht seine weißen Handschuhe aus und dann seinen Nikolaus Bischofshut. Sie umarmen sich und bemerken es nicht einmal. Sie reden fast stundenlang über Dinge, in denen sie sich jeweils gegenseitig wiedererkennen und verstehen.

Hierbei vergeht ganz schnell nahezu der ganze Nachmittag. Draussen läßt der Wind und der Wellenschlag nach. Nicola steht auf und holt sich von Ilaria seine abgelegten Kleider wieder zurück. Er küßt sie kurz und verständnisvoll auf die Stirn und öffnet dann das Fenster, springt hinaus und entschwindet. Ilaria lacht und erkennt irgendwie auch ihre eigenen Träume wieder, allein durch diesen massigen Babbo Natale, den sie mit ihren eigenen Fingern berühren durfte.

Babbo Natale, haben sie ihr in der Schule immer gesagt, Babbo Natale - niemand hat ihn je gesehen, aber sie schon, sie weiß es, sie hat ihn irgendwo zwischen Wind & Wellen zu ihr sprechen hören und sie hat ihn wirklich und tatächlich fühlen können und dazu auch noch seine Brille. "Ja, ja so eine Brille", wiederholt sie, "hätte ich bloß auch nur so eine".

Quelle:
 
Zuletzt geändert:
Lieber Beppe

herzlichen Dank, eine berührende Geschichte und ja, mögen Alle 'sehend' werden. Vielleicht wird es dann auf unserer Kugel friedlicher?

Ich wünsch Dir einen fröhlichen und friedlichen Stefans-Tag mit vielen Grüssen
MariaJ.
 
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