Das Feigenkörbchen: Volksmärchen aus Sardinien. Gesammelt und herausgegeben von Prof.Dr. Felix Karlinger. Erich Röth-Verlag: Kassel 1973
Barbara hatte vor längerer Zeit bereits auf diesen Band hingewiesen. Ich habe ihn jetzt noch einmal in die Hand genommen (das Wetter ist naßkalt, da treibt es mich nicht vors Haus). Die ethnographische Einleitung ist höchst interessant und für das Verständnis der Märchen unerläßlich. A. Karlinger möchte "einen Einblick in das Wesen der Insel (...) geben, so wie sie war, ehe die neuesten Entwicklungen ihr archaisches Gepräge grundlegend umgeformt haben". Die meisten der vorliegenden Texte wurden zwischen 1951 und 1955 gesammelt, also einer für den heutigen Leser weitgehend "vergessenen" Epoche. Alle im Band versammelten Volkserzählungen sind nur mündlich überliefert und sozusagen "nacherzählt", da Tonbandaufnahmen aufgrund der Verschiedenheit der Erzählsituationen nur selten möglich waren. "Man wird bei den Märchen vergeblich nach lokalem Kolorit suchen, wenn man den Inhalt im Auge hat, denn die Motive sind fast die gleichen, wie sie im gesamten Mittelmeerraum und darüber hinaus verbreitet sind". Die bemerkenswerten Gemeinsamkeiten mit Märchen auch aus dem deutschsprachigen Raum belegen diese Anmerkung Karlingers. "Bianca und Orrosa" beispielsweise ist eine Variante von "Scheeweißchen und Rosenrot", ebenso "Die dreizehn Räuber" mit dem Mädchen "Granadina" ("rot"). "Der Bärensohn" ähnelt dem "Starken Hans", "Das Mädchen mit den Hosen" dem Motiv in "Die zwölf Jäger" der Gebr. Grimm.
Erstaunlich sind die interkulturellen, "transnationalen" Gemeinsamkeiten, auf die diese Beispiele verweisen.
Günther