Wenn zwei rare Faktoren zusammentreffen - ein strahlend schöner Novembertag mit 27° und Sonne prall, plus ein historischer Tiefststand des Lago Coghinas -, dann muss man die seltene Gelegenheit nützen, geht gar nicht anders.
Im Grenzgebiet zwischen den nordsardischen Subregionen Anglona und Gallura speist der drittlängste Fluss Sardiniens, der Coghinas, den gleichnamigen Stausee und wird von einer neuzeitlichen Brücke - Ponte Diana - überspannt. Seit ihrer Errichtung in den 1920ern stellt diese Brücke eine wichtige Straßenverbindung dar, dementsprechend stark belastet wurde die Stahlbeton-Konstruktion in den vergangenen 100 Jahren. Also war eine Sanierung (über)fällig, die letzte größere fand, glaube ich, irgendwann in den 50ern statt.
Brückensanierung? Also musste das Wasser weg. Man ließ den Stausee um mehrere Meter ablaufen, der Wasserspiegel sank auf einen Stand wie nie zuvor in den letzten Jahrzehnten.
Wir hatten schon mehrfach gehört, dass bei Niedrigwasser Zeugnisse der Geschichte aus den Fluten des Coghinas auftauchen sollen, und waren in den vergangenen Jahren einige Male bei der Ponte Diana um zu sehen, was das Wasser da freigab. Jedesmal Fehlanzeige. Obwohl wir immer auf den Höhepunkt der sommerlichen Hitzperioden gewartetet hatten, fiel der Wasserspiegel nie stark genug ab, da nützten auch die 40, 45 Grad der letzten Jahre nichts.
Aber heuer! Keiner außergewöhnlichen Hitzewelle, sondern den Sanierungsarbeiten an der (eigentlich dem) Ponte Diana verdankten wir, dass wir ein Bauwerk bestaunen konnten, das seit fast 2000 Jahren das linke Ufer des Coghinas mit dem rechten verbunden hatte und seit rund 100 Jahren als Opfer unseres Strombedarfs im Stausee versunken war.
Natürlich war der Baustellenbereich für Nichtbeschäftigte hermetisch abgeriegelt, das hatten wir schon vor ein paar Wochen von der anderen Seite her festgestellt ...

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... aber wir wollten ja gar nicht auf die Baustelle, und fanden letztlich ein Schlupfloch, um doch noch zu den Resten der Römerbrücke runterzukraxeln.

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Wir haben schon einige Römerbrücken gesehen, desolate Ruinen und guterhaltene Verkehrsbauwerke, über eine in der Nähe von Tiscali sind wir sogar (erlaubterweise, aber mit ein bisschen Bauchweh) drübergefahren, weil sie Teil einer offiziellen Umleitung war, aber diese hier unter der Ponte Diana war irgendwie besonders beeindruckend. Vielleicht, weil sie so lange im Wasser verborgen war und trotzdem (oder gerade deshalb?) in großen Teilen ihrer beachtlichen Gesamtlänge erhalten war, vielleicht, weil sie durch ihre Lage und Bauweise ihre Bedeutung für die römische Besatzungsmacht (damals ;) natürlich) erahnen ließ. Vielleicht auch, weil wir wissen, dass sie in ein paar Monaten wieder im Wasser versinken wird und wir sie wahrscheinlich nie wieder sehen können.

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Die imposante Breite von 5 Metern war typisch für römische Heerstraßen/Brücken und ermöglichte es der römischen Armee, ihre Truppen rasch von einem Ort zum anderen zu verlegen

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Auch auf der linken Seite des Coghinas sind noch die Brückenfundamente erhalten

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Neuzeit und Antike gleich nebeneinander ... wie wohl die Ponte Diana in 2000 Jahren aussehen wird? Und wer wird sie benützen?
Diese Römerbrücke war übrigens - wie einige andere, weniger gut erhaltene in unserer Gegend, die wir auch kennen - Teil der Verbindungsstraße von Hafa (beim heutigen Budduso) nach Gemellae, das in der Nähe des heutigen Perfugas gelegen sein dürfte, also vom (zu Römerzeiten) barbarischen Hinterland hinaus zur Küste.
War ein lohnender Ausflug heute, voraussichtlich nicht mehr lang reproduzierbar ...
 
Wow, und ja.......eigentlich traurig, wie viele antike Gebäude in Stauseen 'versenkt' sind. Teils Kirchen oder sogar ganze Dörfer.....
Schön, dass Ihr das Glück hattet die Brücke sehen zu können...
 
Hallo Peko,
Danke für Deinen interessanten Bericht zur Ponte Diana bzw. zur Römerbrücke. Als Betroffener möchte ich ergänzen, dass die Brückensanierung für eine Menge Unmut und Ärger gesorgt hat. Sie war sicherlich im Sinne der Verkehrssicherheit notwendig, die Brückensperrung wurde aber von heute auf morgen ohne Ankündigung vollzogen und zum Bau eines provisorischen Brückenersatzes (was wegen des niedrigen Wasserstandes sicherlich möglich wäre) konnte man sich nicht aufraffen. Viele Personen aus Oschiri besitzen landwirtschaftlich genutzte Grundstücke auf der anderen Seite des Sees (oder wie ich eine Anglerhütte mit Boot) oder wohnen in der Fraktion San Leonardo bzw. der nahen Gallura und müssen zur Arbeit nach Oschiri. Dieser große Personenkreis muss nun seit vielen Monaten einen Umweg von knapp 20 km (einfache Wegstrecke) über Berchidda auf einer engen und damit gefährlichen Straße fahren. Sie verlieren damit täglich eine knappe Stunde Zeit und brauchen gute Nerven. Das Ende der Sanierung war für Ende Mai 2024 vorgesehen, zwischenzeitlich wird aber auch vom Jahresende 2024 gesprochen.
 
Dieser große Personenkreis muss nun seit vielen Monaten einen Umweg von knapp 20 km (einfache Wegstrecke) über Berchidda auf einer engen und damit gefährlichen Straße fahren.
Tja, mit 20 km können wir hier nicht mithalten, aber "unser" See, der Lago Casteldoria, ist ja auch viel kleiner als Deiner ;).
Dazu auch ein kleines Geschichtchen: Unser See wird, kurz bevor er sich zur Schlucht verengt, auch von einer Brücke (Ponte Vecchio) überspannt, mit gerade mal 85 m nicht mit der Ponte Diana vergleichbar, aber dennoch auf viele Kilometer die einzige Möglichkeit, den Coghinas - Stausee und Fluss - zu überqueren. Einige Ortsteile (frazione) am anderen Ufer des Coghinas waren eigentlich nur über die Brücke erreichbar. Diese Brücke wurde ursprünglich vom Consorzio di Bonifica (Nutzwasser-Versorger) errichtet und "erhalten", soll dann später in öffentliche Verantwortung übernommen worden sein. Welche Gemeinde, ob Perfugas oder Bortigiadas oder beide, oder überhaupt irgendeine andere staatliche Institution, weiß ich nicht. Die Gemeinden aber anscheinend auch nicht, denn die Instandhaltung war so intensiv, dass man zuletzt durch den Asphalt bereits die Karpfen im Wasser zählen konnte.
Irgendwann fiel dann doch die Entscheidung, die Brücke zu erneuern, bevor jemand zu Schaden käme. Mit dem typisch sardischen Enthusiasmus machte sich man ans Werk, die alte Brücke wurde gesperrt, zuerst mit Tafeln, dann mit mächtigen Steinblöcken. Aber unsere Bauern haben schließlich auch Bagger und schweres Gerät, und nach einer Weile war die Alte Brücke wieder offen, während daneben die Fundamente für eine neue Brücke gebaut wurden. Ein gewaltiger Betonquader war dann das endgültige Aus für die Ponte Vecchio, die Leute "vom anderen Ufer" wurden zu einem 14-Kilometer-Umweg gezwungen, wobei es nicht nur um abseits gelegene Agrarflächen ging, sondern um die Grundversorgung, weil alle (erreichbaren) Geschäfte diesseits liegen, die Leute aber jenseits wohnen.
Einige Monate lang ging das so, man konnte allmählich sehen, wie der Brückenbau voranschritt. Plötzlich stoppte die Bautätigkeit, alles stand still, und es ging flüsternd das Gerücht um, der Verantwortliche hätte sich mit dem Brückengeld eine schicke Villa auf einer genauso schicken Tropeninsel gebaut ... Gerüchte, gewiss, aber Fakt ist, dass der Brückenbau für etliche Monate unterbochen war, und als er dann doch weiterging, die Brücke nur mehr einspurig, dafür aber mit zwei abgegrenzten Fuß-/Radwegen, mit moderner Beleuchtung und Ampelsystem gebaut wurde (beides noch nie in Betrieb gewesen, sieht aber toll aus). Alles in allem dürften es so zwischen zwei und drei Jahre gewesen sein, in denen die Leute "von drüben" die 14 Kilometer Umweg in Kauf nehmen mussten, nur um den nächsten Supermarkt zu erreichen ...
Sardinian stories, sardinian way of life ...
 
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