Kreativität

Sandokan

Sehr aktives Mitglied
Ihr Lieben,

nun kenne ich diese Insel schon seit 1974 und erinnere mich dabei ganz genau, wie ich in einer schlecht beleuchteten Fähre mit Laminatboden von Civitavecchia aus startend Sardinien erreicht habe. Die Gerüche dieser Insel im Frühjahr, wo der Ginster und Asfodelo blühen bin ich nie wirklich losgeworden.

Eigentlich will ich aber jetzt über was ganz anderes schreiben und finde irgendwie die Überleitung nicht. Will sagen: Ich hätte Leute, Freunde und Verwandte erwartet, die sich ungehemmter Freude hingeben und "Spaß" haben möchten. Dem war zwar auch so, aber nicht ausschließlich. Im Gegenteil. Ich habe immer wieder Verwandtschaft, Leute und Freunde erlebt, die angeregt Bücher gelesen haben, musizierten und schrieben. Offensichtlich regt die Ruhe dieser Insel förmlich dazu an und viele beginnen Dank der Stille hier kreativ zu arbeiten zu können.

Nach Jahren habe ich mich in meinem Archiv begeben und alte BASF Tonbänder rausgekramt und mit Mühe wieder zum Laufen gebracht. Nicht einfach die kleinen, braunen Fäden in die richtigen Spulen zu bringen und zu warten, bis die Kondensatoren sich erbarmt haben aufzuwärmen. Und dann liest man Dinge wie "Armando" oder "Andres Segovia" die bei uns zu Besuch waren. Interessanterweise ist auf den Bändern der 60er Jahre immer der Mistralwind "whohooo, whohooo" zu hören. Che meraviglia !

Klassische spanische Gitarre vor dem Kamin bei heulendem Mistralwind. Alles schweigt andächtig. Wer möchte, sollte sich Segovia auf Youtube anschauen, ich habe die Originale :)

Und immer wieder krame ich aus meiner Bücherei Schriften heraus, die hier in Sardinien geschrieben wurden von Leuten, die offensichtlich endlich die Ruhe fanden ungestört zu schreiben. Es ist uns auch nicht wirklich keiner Gram wenn wir tagelang am Telefon nicht antworten, auf Handy nicht zu finden sind und auch auf keine Mail antworten. Großvater brachte immer ein Schild an "Bin auf Tauchstation, bitte nicht stören!" Alter Marinesoldat halt.

Bücher die bei uns geschrieben wurden:

Windarzt und Apfelsinenpfarrer, Aufzeichnungen eines Psychiaters (1955).

Zitat:

Was für eine Phantasie, wird man denken, wenn man diese Geschichte liest. Es geht um den den Stabsarzt und Psychiater Dr. Voßmenge, der gegen Ende des Zweiten Weltkrieges eines Verbrechens angeklagt wurde, auf da nach dem bestehenden Kriegsrecht die Todesstrafe zu erwarten war. Voßmenge dem Gutachter, der als Fachkollege vom Kriegsgericht beauftragt wurde, seinen Geisteszustand zu untersuchen vor, seine Arbeit zu erleichtern und seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Es sind die Aufzeichnungen eines Psychiaters. Den Leser erwartet ein Feuerwerk an Gedanken zu Wahn und Normalität.


"Die letzen Paradiese der Menschheit", herausgegeben von Heinrich Harrer (7 Jahre Tibet), ab Seite 58 "Die Sarden, Hirtenvolk auf der Granitinsel Sardinien", Bertelsmann Reinhard Mohn GmbH

"Fake off" von Anke Behrend (Autor), erschienen 2007

Zitat: Die Protagonistin ist passionierte Chatterin, beschreibt das Geschehen in einem der vielen Internetforen, ihre unergiebigen Internetbeziehungen, die in der Realität stets scheitern und die Beziehung zu Roman, dem - allseits begehrten, bewunderten, beneideten, gut aussehenden Charismatiker, dem Dichter und Denker, mit diversen Attributen, der spirituellen Ader, König der Community mit einem ehrfürchtig bewunderten Hofstaat aus kleinen bis mittelgroßen Claqueuren, Gläubigen und Gläubigern. (vgl. S.115), dessen Möchtegern-Identität sie bei ihrer ersten Begegnung sofort als solche erkennt, sich aber in der Folge leider mit dessen Stalking-Verhalten auseinandersetzen muss, als sie sich nach mehrtägigem Aufenthalt in seiner Behausung angewidert von ihm abwendet.

Wird sie einen Weg finden, um sich diesen Kerl vom Hals zu schaffen?

Eckehard Munck: "Die biologische Revolution" Gebundene Ausgabe – November 1982

Mit über 180 zumeist farbigen Abbildungen.- Wien Esslingen 1974: Österreichischer Bundesverlag / J.F. Schreiber, 128 Seiten, Leinen (EKZ-Einband)

Vielleicht ist das Werk meines Onkels Eckehard Munck eines der bedeutensten Werke der 80er Jahre überhaupt. Die kritische Auseinandersetzung mit dem ungehemmten Wachstum und den Grenzen des Wachstums.

Liebe Moderatoren, ich mache hier keinen Werbefilm. Ich erzähle nur.

Was mich aber interessieren würde ist, was hier sonstwo noch auf der Insel an kreativen Dingen entstanden ist. Wo ist welches Buch, welcher Krimi, welche Doku entstanden ?

Bin neugierig.

Marco
 
Zuletzt geändert:
@Sandokan
Ein wenig schade finde ich, dass du deinen Begriff von "Kreativität" auf das geistige beschränkst.
Wirklich mitreden kann ich als "Sardinienneuling" nicht, weil ich nicht weiss, ob das, was ich im Mai (erstes mal ) gesehen habe, ganz neu oder vllt 3 Jahre, 30 Jahre, oder doch schon 300 Jahre alt ist. Aber ich habe im Handwerk auch Kunst und Phantasie entdeckt, in Castelsardo in der Flechtwerksdekoration, in Töpfereien ebenfalls in der Dekoration und Bemalung.
Ich kann kein italienisch, hatte also nicht die Möglichkeit, den Werdegang von Phantasie und handwerklicher Umsetzung zu hinterfragen.
Ganz sicher bin ich mir aber, dass viele Leute Phantasie haben, und wenn ihnen die Möglichkeit zur Umsetzung gegeben wird, sie diese auch nutzen.
 
Hallo Afon,

"Kreativität" und "geistig" schließt ja nicht per se einander aus. Das bemerke ich übrigens auch, daß Menschen in ihrer Freizeit gerne kreativ sind und Inspiration benötigen - das geht vermutlich genausogut in Itzehoe, Fuerteventura oder auf Kreta. Es fällt mir nur eben auf, daß viele Menschen um mich herum beginnen zu schreiben, zu malen, zu musizieren, zu töpfern, zu sammeln und die vielfältigsten Dinge zu tun, für die man ansonsten einfach keine Zeit und Muse hat.

Vielleicht hängt es aber auch nur damit zusammen, daß man im Winter oftmals wegen fehlender Telefon- und Internetverbindung nicht erreichbar ist (oder wie in meinem Falle auch mit dieser Ausrede nicht erreichbar sein will) . Ich genieße es einfach zu sehen, wie andere Menschen kreativ arbeiten und welche Interessen sie haben und vertiefen. Man kann Tage und wochenlang das Handy getrost zum Schweigen bringen und es interessiert nicht wirklich einen Menschen ob Du da bist oder nicht. Mein Großvater brachte immer ein nettes Schild vor die Tür: "Bin auf Tauchstation" (als ex-Marinesoldat entbehrte das nicht eines gewissen Witzes). Das konnte dort tagelang dort hängen und niemandem von uns wäre in den Sinn gekommen zu stören. Auch ein Marinesoldat muss früher oder später wieder an die Luft.

Ich habe herrliche Spinner um mich herum oder um es mit den Worten meiner Barkeeperin zu sagen: "Wenn sie nicht komisch sind, dann wollen wir sie auch nicht !". Ob Maria eines Tages im Herbst kommt und sagt: "Du mein Mann spinnt gerade heftig, der hat alle grauen Gebüsche um uns herum in der Nacht bunt angemalt" - Ich muss sagen, das Kunstwerk ist ihm gelungen ! Oder ob Ilaria kommt und sagt: "Du Marco, mein Mann ist seit 3 Tagen allein im Tonstudio eingeschlossen und ich trau mich da jetzt nicht rein, könntest Du bitte mal nachschauen ob er noch lebt ? " Ich latsch halt rein und finde ihn fröhlich pfeifend in Selbstgesprächen vertieft mit Sennheiser Kopfhörer und beruhige sogleich die Gattin.

Warum auch nicht ?

Die Briten nennen es wohlwollend "exzentrisch" und die Italiener eben "particolare" :)

Ich habe hier Beispiele von Männern genannt, wobei es genausogut viele Frauen gibt, die völlig gedankenversunken über Tage abdriften können. Ich habe Freundinnen die es lieben zu nähen, sticken, designen und zu entwerfen und bin immer wieder sehr fasziniert davon auf welche Gedanken sie kommen, wenn Dich nichts und niemand ablenkt. Ich freue mich, wenn meine Handnähmaschine "Singer" von 1904 wieder zum Einsatz kommt und Pläne im A0-Format ausgebreitet auf dem Tisch stehen. Ich kenne übrigens auch Frauen, die Kriegsschiffe im Modell ohne Konstruktionsplan nachbauen können. Tatsächlich !

Was wäre der Mensch ohne seine Kreativität und Phantasie ?

Just my 2 cents :)

Marco
 
@Sandokan
Dann sind wir beide doch auf einer Wellenlänge, ich mag auch die " kauzigen " Typen m/w , abseits vom mainstream, voller Ideen.
Manchmal hapert es an der Möglichkeit zur Umsetzung, Papier und Bleistift sind schneller zu organisieren als Säge und Beitel ( Holz ) oder Hammer und Meissel ( Stein ) oder oder oder
Ja, und es hat sehr viel mit Zeit zu tun, die da sein muss, wenn man sie braucht.
Ich/wir werden wohl erst wieder im nächsten Mai auf der Insel sein, ich bin mir aber heute schon sicher, dann und dort wieder die unterschiedlichsten Formen von Gestaltung - handwerkliche Umsetzung von Phantasie - zu entdecken.
 
Ich liebe es.

In meinem Lager habe ich alte Tonbänder auf denen "BASF" steht und die bewegen sich kreisrund. Damit wurde 1957 der Gitarrist Segovia an meinem Strandhaus aufgenommen und im Hintergrund hört man das Rauschen des Mistrals "whooohooo". In Sardinien.




Listen
 
Wie liebe ich die Stille. Das nichts sagen müssen und sich verweigern. Nein, ich habe kein Smartphone sondern ein Seniorenhandy von Beghelli also wag's doch einfach nicht mir so einen Schiss "smartphonemessage" zuzuschicken und mir eine Nachricht zuzusenden.

Aber wenn ich zu einem Sarden gehe sagt er mir: "MARCO" ! (manchmal mit Ausrufezeichen)- Seit vielen Jahren diskutieren wir über Neuankömmlinge im Ort.

Darf ich Euch was sagen ? Seit Jahren sehen wir hier Leichen aus aller Welt aber wenn ihr wollt, schweigen wir doch. Es ist unangenehm an den Strand zu gehen und mehrere Tote zu sehen.

Ich denke meinen Beitrag geleistet zu haben und habe zwei "Berber" aus Marocco aufgenommen. Das einzige wort was sie konnten war "Si": In der Zeit habe ich begriffen, daßn die zwei mehr könnten wenn sie wollten.

Nun schauen mich 2 Berber an, wissen aber nicht, daß ich in der Costa Smeralda inzwischen Ismaeliten aufgewachsen bin und sage- "Allah ill' Allahm resul Mohamed fercul Allah".

Totenstille
 
ou ja, das mit dem Smartphone: völlig d' accordo :)

Hab auch keins, bin so froh, nicht ständig auf jedes dingdingding sofort hupfen zu müssen, will auch aus Überzeugung kein whatsapp, aber das läuft zum Glück eh nicht auf meinem Handy....
(ist nicht gratis, absolut nicht.... ihr zahlt mit eurem kompletten Leben....!!! Wer Bock hat lese mal die 30044 Seiten Kleingedrucktes von whatsapp)

hab keine Lust anzuschauen, was gerade irgendwer als Mittagessen hatte, will nicht ständig irgendwelche Freunde auf Frazzenbuck bestätigen, die ich nicht mal im Traum kenne und mich interessiert es null wer welchen Furz unbedingt mit der ganzen Welt teilen muss :D

Und manchmal lass ich das Gerät, ein richtig historisches Nokia, einfach zuhause, und bin im Wald und im Garten und mach was und bin im Einklang mit mir, der Natur und mit dem was ich grad mache. Und um den Rest der Welt kümmere ich mich dann wieder gerne wenn ich zuhause bin :)

So ist das echte Lebensqualität für mich :):):)
 
Darf ich Euch was sagen ? Seit Jahren sehen wir hier Leichen aus aller Welt aber wenn ihr wollt, schweigen wir doch. Es ist unangenehm an den Strand zu gehen und mehrere Tote zu sehen.


Wie wärs mit etwas Mund zu Mund Beatmung... damit kann man oftmals Tote zurück ins Leben holen ;) Faulen die im Sand vor sich hin oder treiben leise im Wasser umher? ;)

ou ja, das mit dem Smartphone: völlig d' accordo

Ist immer so eine Sache wie man diverse Dinge nutzt... Smartphone sind super. Finde aber denoch auch die Ruhe das ich völlig verpeilt on Tour bin und Frau mich nicht erreichen kann... da piept nichts und selbst wenn es dingdingding macht lass ich mich da net aus der Ruhe bringen. Vor 20 Jahren wäre diese Plattform bzw. dieses Forum sicherlich auch ähnlich kritisch gesehen worden. Nicht die Schokolade ist böse... sondern der Umgang damit und da kommt es immer auf einen selber an. Ist man zuviel davon wird man dick und rund und richtiges Essen kann man nicht mehr so geniessen wie es sein sollte... wenn man natürlich völlig ohne Schoki leben möchte und kann dann ist das auch völlig in ordnung! :)
 
das Forum ist super!

Und ich entscheide wann ich reinguck oder auch nicht. Alles easy.

Nur kenn ich auch Leute, die etwa hundertmal am Tag kontrollieren ob irgendwas aufm Smartphone angekommen ist und die ohne das Dings nicht mehr leben können.

Ich entscheide was ich wann mache. Und geniesse es tierisch, manchmal vollkommen offline zu sein in jeder Hinsicht.
 
Genauso kann man auch andere Dinge handhaben... innere Ruhe oder Gelassenheit kann durch kein smartphone durch kein Forum gestört werden. Denke auch ohne diese Errungenschaften nehmen oder nahmen sich Menschen oftmals vieles zu sehr zu Herzen. Egal was man wie nutzt ... dabei selbst mal durchatmen oder gerne auch mal schimpfen sollte Bestand haben. Sonst ist man echt sowas wie tot oder tod...? Wie auch immer... wurscht wenn man es passend macht ;)
 
@canadou
Ich denke mal, nicht die Art und Häufigkeit der Nutzung technischer Neuerungen ist das eigentliche Problem, sondern eher das Verlernen der eigenen Fähigkeiten. Und mittlerweile gibt es - für meinen Geschmack zuviele - Mitmenschen, die in einem Funkloch völlig hilflos agieren, weil sie zum Einen keine Informationsalternativen mehr kennen und sich zum Anderen viel zu sehr auf die Verfügbarkeit von Bits und Bytes verlassen, als auf das Speichervermögen des eigenen Hirns.
 
Frage mich jetzt wann die Menschheit hätte aussteigen sollen... ab der Entdeckung des Feuers oder erst ab der Erfindung des Rades?

Denke es gab zu jeder Zeit Pappnasen die den Umgang mit Dingen des alltäglichen Lebens schlechter organisieren konnten wie andere. Technischer Fortschritt kann immer Segen oder auch Fluch sein... Denke auch das neue Medien/ Technologien für das Hirn ein Anreiz können wenn richtig genutzt.
 
Ok Günther, Rüffel angekommen, ich sehe gerade, wir sind ja gar nicht im Plaudforum, sondern bei Kultur, sorrry.
[Anmerkung der Administration: Thread wurde inzwischen in die Rubrik "Plaudern" verschoben]
 
Zuletzt von einem Moderator geändert:
Frage mich jetzt wann die Menschheit hätte aussteigen sollen... ab der Entdeckung des Feuers oder erst ab der Erfindung des Rades?

Mag sein, dass ich mich missverständlich ausgedrückt habe. Im Original ging es lediglich um die ungestörte Zeit, Phantasie reifen zu lassen, und, wenn möglich, in Gestalt umzusetzen. Ein Telefon kann da störend wirken.
Ich bin weder Technikhasser, noch verteufel ich jede Neuerung, und auch für mich ist immer wieder etwas passendes dabei, erlaube mir aber, jeden Fortschritt kritisch zu überdenken, und aus meiner (ohne jeglichen Anspruch auf Allgemeingültigkeit) Sicht zu bewerten und zu kommentieren.

Doch jetzt wieder zurück zum eigentlichen Thema, was Sardinien an kuturellen Errungenschaften zu bieten hat.
Darauf angestossen hat mich Su Corvu mit seiner erfolglosen Endlossuche. In Budoni gibt es eine "Via Antonio Gramsci", in Ales geboren.
Philosoph und Politiker. Seine Gedanken sind es wert, gelesen zu werden-
Ebenfalls erwähnenswert ist Remo Bodei aus Cagliari, den es auch nach D zog, wohl wissend, dass die Beschäftigung mit den Gedanken anderer helfen kann, die eigenen Gedanken zu ordnen und den eigenen Horizont zu erweitern.

Afon
 
Mag sein, dass ich mich missverständlich ausgedrückt habe.
Afon

Mein Beitrag/ Gedanken bezog dich auf corona´s smartphone-phobie... Alles gut! :)
Hoffe den kulturellen Geist
hier in diesem Thread nicht all zu sehr gestört zu haben...

gruss
markus
 
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