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Lollove - 16. September - Fest der " Sant' Eufemia"

Beppe

Sehr aktives Mitglied
Lollove ( 9°20′0″E - Gemeinde Nuoro auf Sardinien) , ist wohl mit Abstand die kleinste Ortschaft auf Sardinien mit nur ca. 30 Einwohnern. Am 16. September wird dort das Fest der "Sant' Eufemia di Calcedonia" als grosses Fest gefeiert. Sant'Eufemia di Calcedonia gilt dort als Schutzpatronin der Hirten.

Lollove liegt ca. 10 km von Nuoro entfernt und bei einem Besuch der Ortschaft fühlt man sich um gefühlte "200 Jahre" zurückversetzt.

Wer insofern diese Woche auf Sardinien ist und sich für Sonntag, den 16.9. noch nichts vorgenommen hat, der sollte diesen Tag für einen Ausflug dorthin nutzen.

Einen filmischen Eindruck aus dem Jahre 1990 von Lollove findet man auf:

http://www.sardegnadigitallibrary.it/index.php?xsl=626&s=17&v=9&c=4460&id=485

sowie einen Filmbeitrag von Videolina auf:


A proposito:
Wer ausserhalb eines solchen Festes dort hin fährt steht evtl. dort vor nahezu verschlossenen Türen. Es gibt eine einzige Trattoria namens SaCartolina, die allerdings nur auf Vorbestellung bzw. nach Absprache aufmacht.Hierzu empfiehlt es sich (am besten 1 Tag vorher) sich unter der Rufnummer: 340 077 3866 bei Zia Toniedda anzumelden bzw. eine Absprache zu treffen.
 
Lollove ist unbedingt einen Ausflug wert - wie Beppe sagt, man fühlt sich in einer anderen Zeit. Als wir das 1. Mal vor vielen Jahren zufällig mit den Motorrädern dorthin gerieten, saß ein einziger alter Mann auf der Veranda seines Hauses in dem wie ausgestorben wirkenden Ort mit ein paar Häusern. Er winkte uns. Leider hatte ich damals die Gestik falsch verstanden und dachte, er hätte uns signalisiert, wir sollten verschwinden. Trotzdem haben wir uns langsam genähert. Er winkte uns nun unmissverständlich näher, wir kamen ins Gespräch. Er erzählte, und erzählte, vom Krieg, wo er überall war auf der Welt. Seine Erzählungen endeten mit einem strahlenden Lächeln "und hier, wo ich jetzt sitze, ist der schönste Platz auf der ganzen Welt!" LOLLOVE. Eine Liebeserklärung an diesen winzigen, verlassen wirkenden Ort. Seitdem fahren wir fast jedesmal dorthin, um die unglaubliche Abgeschiedenheit und Friedlichkeit dieses Ortes in uns aufzunehmen.
 
Ein paar Eindrücke.

Lg Alexandra
 

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Hallo Beppe,

Wo kriegt du nur all die interessanten Sachen her?

Ein wunderschöner Reisebericht über "einen kleinen Ort, der keinen Zement kennt". Steinerne, unbewegliches Sardinien. Habe meine Zweifel, ob eine deutsche Übersetzung die Stimmung so richtig einfangen könnte.

Jedenfalls danke für das Lesevergnügen. GLG JU
 
Ciao Bo-Ju

nur wer unaufhörlich gräbt und sowohl seine 5 Sinne als auch seinen 6. Sinn einsetzt, erlebt und erfährt einfach mehr.

Ich denke mal, auch eine deutsche Übersetzung könnte dem italienischen Text sehr gerecht werden.
Ist halt eben dann schon einen ganzen Tag Arbeit, um den dann in Deutsch "publikationsfähig" in gleicher Manier so zu verfassen,
daß er dem Leser das atmosphärisch genauso vermittelt, was im Italienischen in und zwischen den Zeilen steht.

Freut mich jedenfalls, wenn Dir der Reisebericht ein solches Lesevergnügen bereitet hat.
 
In Anbetracht des Lesevergnügens, welches Bo-Ju beim Lesen des o.a. atmosphärisch schönen Reiseberichtes nach Lollove hatte und in Anbetracht der Tatsache das dieser leider nur in italienisch war/ist, so möchte ich zumindest diesen stimmungsvollen Reisebericht den "Nicht-Italienisch-Kundigen" nicht vorenthalten.

Auch nochmals als Hinweis:
Morgen, den 16.9. Fest der "Sant' Eufemia" in Lollove und vom 9.-11. November finden in Lollove die Cortes Apertas statt.

Zumindest an diesen Tagen wird es nicht ganz so 'einsam & still' dort zugehen, wie im unten nachfolgenden Reisebericht von Carlotta & Andrea.
 
Durch die Straßen von Lollove

Die Strecke von Cagliari nach Lollove kann man eigentlich nicht wirklich als eine Reise bezeichnen. Nennen wir es deshalb einfach mal "einen etwas anderen Tag" erleben. Bei der Entdeckung eines besonderen Ortes. Hierbei haben wir unsere gemachten Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke aus jeweils zwei unterschiedlichen "Blickwinkeln" beschrieben.

Carlotta.
Orte wie Lollove findet man nicht einfach so per Zufall. Entweder ist man von der richtigen Strasse abgekommen, ist falsch abgebogen oder man hat schlicht ein Straßenschild verwechselt. Lollove liegt so versteckt. So als ob es versucht, sich vor Zeit und Gegenwart zu schützen. Gleichsam einer Nonne, die ein Gelübde vor Gott ablegt und Jungfrau bleibt. Genauso wie Gavina. Sie lebt hier bereits seit 92 Jahren und ihr bester Freund ist der Pfarrer und ob der Frage, ob sie aufgrund ihres Vermögens nie geheiratet habe: "Nein, ich habe keins und ich habe auch nie geheiratet. Niemals!"

Während des Tages bewegt sich hier nur der Wind. Man hört den langsamen und gleichmäßigen Hufschlag eines Pferdes durch das kleine Dorf hallen, welches keinen Zement kennt. Und dann hört man die Schweine, die sich Schmutz verschmiert an den Holzzäunen der Verschläge ihre Schwarte reiben. Aber hernach ist es, als gebe es kein anderes Leben. Und auch keine anderen Geräusche.


Andrea.
Ich dachte an den Fluch, der über Lollove schwebt, der da lautet: "Du sollst sein wie das Meer, wachse und sterbe niemals!" und in etwa ähnlich der Entstehungslegende des Meerwassers, welches durch die vergossenen Tränen von Nonnen entstand, nachdem sie im Land brutal verfolgt, gefangen und gesteinigt wurden. Von dieser Legende jedenfalls kennt Frau Gavina viele Versionen. Vielleicht sind aber auch gerade diese Nonnen nach Lollove gekommen und haben um ein Almosen gebettelt und wurden – im Angesicht der Barmherzigkeit – wieder fort geschickt. Jedenfalls erzählt die offizielle Version eine andere Geschichte und spricht von deren Techtelmechteln mit den Hirten des Dorfes. Letztendlich ist es unerheblich, wie auch immer sich diese Geschichten zugetragen haben mögen

Jedenfalls ist noch nie ein Fluch so genau eingetreten. Lollove wächst nicht, das ist sicher, und bis jetzt stirbt es auch nicht. Vielmehr erscheint es in einem gewissen Sinne „stehen geblieben zu sein“ und lebt trotz all seiner Abgeschiedenheit.

Ein Ort, wo es einem so vorkommt, als dass sogar die Blätter sich seit Jahrhunderten nicht bewegen… und wenn, dann nur ganz leicht durch den Wind.

C.
Mein Reisebegleiter hat seinen Blick über die Berge und den Himmel schweifen lassen, die Lollove wie einen schönen Fluch überragen. A.’s Gesichtsausdruck verfinstert sich ein wenig, so als ob diese ganze Lautlosigkeit ihm auf die Nerven geht. Er nimmt sein Notizbuch, einen Stift und schaut beides gedankenverlorenen an. Er schreibt etwas und kurz darauf hält er inne, um dann wieder weiter zu schreiben. Nun will er ein Foto machen. Jetzt wird’s heikel.

Denn jedes Foto lässt die innere Spannung rapide ansteigen, weil es insgesamt nur ganze 12 Fotos auf dem Rollfilm dieses hochmodernen Retro-Fotoapparates gibt, der so gut wie nichts wiegt und aussieht wie ein Spielzeug. Und selbst wenn der Aufnahmewinkel nicht perfekt ist: „Das Wichtigste sind die Farben“. Und wie immer das Motiv auch ist oder das Foto sein wird, „es wird die Schuld der LOMO sein“ , merkt A. so ganz nebenbei an, der die Filmrolle nämlich genau falsch herum eingelegt hat.

A.
Während der Woche ist nahezu niemand hier, so Frau Gavina, die vor ihrem Haus sitzt ("in der Vitrine", sagt man) und den Rosenkranz durch ihre Finger gleiten lässt. Es ist ein Pferd, dass die Besucher am Dorfeingang begrüßt sowie ein paar Katzen, die der Sonne überdrüssig sind. Es gibt Viehhalter hier, die kommen und gehen nach Nuoro und das fast jeden Tag.

Dann, am Wochenende kehren auch diejenigen nach Lollove zurück, die in der Stadt arbeiten und nach wie vor ihr Haus hier haben. In diesen Momenten kommt wieder ein wenig Leben ins Dorf. Plötzlich ein unerwartetes Schnappschuss-Motiv.

In einem Garten liegt vergessenes Spielzeug auf dem Boden, Lebenszeichen von Kindern, welches in einem kurzen Aufleuchten vor dem geistigen Auge – es auch schon fast direkt wieder verlöschen lässt, wenn man sich dies zusammen mit den verfallenden Häusern des Ortes vorstellt.
Man stelle sich nur einmal vor, dass an Samstagen und Sonntagen, durch die mit Moos und Unkraut bedeckten, grobhauigen Pflastersteinstrassen laut lärmend einige Kinder laufen und so die Grabesruhe mit Lachen und Schreien stören. Dieses Kinderspielzeug jedenfalls scheint zumindest ein erstes, wenn auch schüchternes Anzeichen für eine Zukunft Lolloves zu sein – zur Zeit allerdings nur rein hypothetisch.

Fortsetzung folgt....
 
C.
"In Lollove spürt man den Atem Gottes." Gavina schnippt mit den Fingern und mit einem kurzen Lachen schaut sie dabei in die Runde, so als ob man ihr nicht glauben würde. Aber ich glaube ihr. Ich sehe es. Und ich höre es.

Diese alte Frau ist erstaunlicherweise klar bei Verstand - trotz aller Falten die das Alter in ihre Haut gegraben haben – und sie ist die Schlüsselhüterin des Dorfes. Sie lebt in Lollove seit ihrer Geburt. Und - um es vorwegzunehmen: „Gedrucktes gibt es noch nicht recht lange hier!“ und dennoch ist ihr Italienisch sicher und einwandfrei und lässt jeden erstaunen. Man könnte stundenlang da bleiben und ihr zuhören.

Ihr umfangreicher Wortschatz ist geprägt von Gläubigkeit und Erinnerungen. Gewohnheiten werden zu Ritualen. Sie verbringt zum Beispiel ganze Tage sitzend an der Wand vor ihrem Haus, um Gebete zu lesen, und die Geschichten der "besonders wundertätigen Heiligen" kennt sie jedenfalls alle.

In der Zwischenzeit aber macht sie immer wieder mal irgendetwas anderes. Jetzt nimmt sie sich gerade einen Korb mit Bohnen und sortiert diese geschwind ohne auch nur näher hinzuschauen. Es ist erstaunlich, denn die kleinen Bohnen sind eigentlich nur schwerlich zu erkennen. „Sie sehe hervorragend“, so Gavina, obwohl „der Doktor nicht einmal die Brille hatte, die er mir verschrieben hat“.


A.
Es war bereits auf dem Rückweg, als ich wegen einer Frage darüber nachdachte zu Frau Gavina – dem historischen Gedächtnis des Dorfes – zurückzukehren, deren herzhaftes Lachen so ‚ansteckend’ wirkt und mit welchem sie die Aufmerksamkeit derjenigen auf sich zieht, die bereit sind, sich zu ihr zu setzen und sich ihre Geschichten anzuhören.

Sie erzählte von der Ehe, die der Pfarrer einst mit einem seiner Freunde vorgeschlagen hatte, ein reicher Mann zur jener Zeit als es noch in dem Lied hieß: "was könnt' ich alles tun hätt' ich nur 1.000,-- LIRE im Monat“ und das auch nur, weil er ein Vielfaches davon besaß. Aber Gavina interessierte das nicht. "Warum gerade ich, wo ich doch bereits schon damals so unsterblich in die Freiheit verliebt war", so sprudelt es aus ihr heraus - eine recht nonkonformistische Ansicht in Anbetracht ihres Alters und der ‚historischen’ Zeit in der sie ihre Jugend erlebte – eine Ansicht jedenfalls, die verblüffend und erheiternd zugleich ist.

<<Und oft hörte ich die verheirateten Frauen sagen "Oh je, wenn ich doch nur zurück könnte" ...wie heißt es doch so schön?
Die Ehe ist wie eine bezwungene Festung, wenn Du drin bist, dann willst Du raus und wenn Du draußen bist dann willst Du rein.>>

Sie litt an Klaustrophobie, so sagt sie, und da kann man nicht diese Liebe zur Freiheit eintauschen gegen einen Eintritt in die „Festung“ eines Mannes, der mehr als 1.000,-- LIRE verdient, was übrigens zur damaligen Zeit ein stattliches Einkommen war.
Schade, dass mir erst später während der Rückfahrt nach Hause in den Sinn kam sie zu fragen, was für sie denn genau das Wort Freiheit bedeute.

C.
Freiheit? Ich glaube, daß für sie die Freiheit schon jeden Morgen mit dem Aufwachen beginnt und sie dann bereits den Atem Gottes verspürt.
Es ist der Duft ihrer Blumen, die sie hegt und pflegt wie ihre Kinder. Und anschließend verbringt sie ihre Tage in einem einfachen Tagesablauf, so wie sie es bereits seit jeher gewohnt ist, begleitet von gewohnten Ritualen, ähnlich der Heimkehr der Jäger bei Sonnenuntergang.

Und in der Zwischenzeit liest sie vielleicht zum x-ten Male nochmals ihr Lieblingsbuch von Grazia Deledda, über das sie gerne mit allen spricht, die bei ihr vorbeikommen, so wie mit uns. Und wer weiß, vielleicht fallen ihre Antworten beim nächsten Mal dann völlig anders aus.
Könntest Du so leben? In einem Ort außerhalb von Zeit, ohne Verkehr, ohne Lärm, ohne die Lichter der Großstadt…

A.
Leben in einem Ort wie Lollove? Lollove ist wie sich in einem Ort des Friedens zu baden, in welchem das Leben scheinbar ruht.
Ein wenig so, als ob man aufs Meer schaut.
Diese Vorstellung dämpft zwar irgendwie die innere Unruhe, aber anstatt dessen bist Du dann damit und mit Dir so ziemlich allein. Hier gibt es kein Meer, sondern nur eine endlose Weite mit Felsen, Bergen und Bäumen, verfallenen Häusern und Wege und Pfade auf denen niemand läuft.
Es herrscht eine Stille, die alles und jedes buchstäblich aufsaugt. Eine gedämpfte Stille, wenn man bereits die eigene Stimme gebraucht und selbst diese hat man dann schon manchmal als das einzig Dröhnende empfunden – um es drastisch auszudrücken!
Die Wege und Gassen des Dorfes sind jedenfalls lang…
Lollove ist einer jener Orte an die man mit Freude denkt, dass es sie noch gibt. Aber ...


C.
Sicher ist, daß Orte wie Lollove irgendetwas in einem zurücklassen. Irgendetwas Zwiespältiges!
Ein wenig Frieden und ein wenig Einsamkeit. Authentizität und Trostlosigkeit. Fluch und Segen zugleich. Die Widersprüche könnten kaum heftiger sein. Auch ich kann mich dem überhaupt nicht entziehen. Entweder wird man hier zum Poeten oder man macht sich zum Narr'n.
Wie auch immer, ... mir fällt gerade ein, da Du meine Stimme so sehr magst, Dir auf der Heimreise über all' dies etwas vorzusingen…

© Übersetzung aus dem Italienischen
- alle Rechte vorbehalten -
 
Danke Beppe für diese wundervolle Übersetzung.Schöner kann man das nicht ausdrücken.Respekt vor einer Frau wie Gavina und ( zumindest bei mir) die heimliche Sehnsucht, so leben zu können.

Liebe Grüße Alexandra
 
Ciao Beppe,

Du hast mir jetzt ein ganz schlechtes Gewissen gemacht, weil du so viel Zeit aufgewendet hast mit der Übersetzung, während ich einfach zu faul dazu war. Aber schön ist sie geworden. Man müsste sich mal ein paar Stunden da oben auf die Steinstufen setzen und nichts tun. So lange, bis einem das Nichtstun nicht mehr kribbelig macht. GLG Ju
 
@Xandra

die erste Übersetzung war etwas schnell dahin geschludert.
Seit der ersten Einstellung am Samstag hab' ich zwischenzeitlich nun weit mehr als 400 Korrekturen daran durchgeführt und bin nunmehr der Meinung, das Ganze sei jetzt flüssiger lesbar - quasi druckfähig - und treffe so auch genau den Tenor und die Stimmung der Verfasser.
Einfach oben nochmals lesen!

@ Bo-Ju
ein schlechtes Gewissen mußt Du nicht haben, mir reicht es, wenn ich Deine Zweifel an einer "Übersetzbarkeit mit Einfangen der Stimmung " des Reiseberichtes widerlegen konnte. Vielleicht sollten wir uns mal gemeinsam auf die Steinstufen dort setzen. Mal sehen, bei wem es dann zuerst anfängt zu kribbeln.
 
Danke Beppe

hab`s nochmal gelesen und diese Stimmung eingefangen für mich.Ja, diese Stille im Dorf.Vielleicht hab ich mal das Glück und sehe Gavina, wenn wir mal wieder hinfahren, es wäre schön.

LG Alexandra
 
Ciao Alexandra,

ja, so Orte wie Lollove gibt es vielerorts immer noch auf der Insel, quasi eine Art von „Naturschutzgebieten des Lebens“. Dörfer voll von widersprüchlichem Charme und Reiz und die nach wie vor Zeugnis ihrer archaischen Traditionen, Folklore und Strukturen ablegen, aber gleichzeitig einer prosperierenden Zukunft völlig beraubt erscheinen.

Lollove ist ein solcher Ort, der leider ein Inselphänomen drastisch und exemplarisch aufzeigt (1950 lebten dort noch 400 Menschen und heute nur noch 23 = ./. 95% der Einwohner), welches auf Sardinien seit vielen Jahren akut ist: die Entvölkerung des Inselinneren und die allmähliche Überalterung der verbleibenden Restbevölkerung. Der Exodus der jungen Sarden ist in vollem Gange und die Zahl der Rentner in diesen Orten übersteigt bereits die Anzahl der Werktätigen signifikant. Es gibt nur wenige Arbeitsmöglichkeiten für diejenigen, die bleiben und die Aussichten hinsichtlich einer weiteren Entvölkerung in den kommenden Jahren sind eher düster. Der soziale und wirtschaftliche Erdrutsch jedenfalls hat vielerorts bereits begonnen. Aber das soll nicht heißen, dass dies nicht unumkehrbar wäre.

Es ist nicht nur teilweise sondern ein vollkommener Eklat, wie solche derzeit noch vorhandenen Zeugnisse von Geschichte und Kultur fortschreitend und sinnlos verfallen. In 100 Jahren, wenn nix mehr steht, erst dann ärgern sich die Kultur-, Wirtschafts- und Politikverantwortlichen und sonstige selbsternannte Berufene darüber, dass man nicht beizeiten hier eingelenkt hat und zeitnah Hilfen, Anstöße, weitsichtige Visions- und Entwicklungspolitik etc. geleistet hat. Ein einziges und wahres Dilemma. In D oder auch in anderen Ländern würde man aus so was überlebensfähige „quicklebendige Museumsdörfer“ machen, wo Handwerk, Kunst, Gastronomie, der Agropastoralismus und Fremdenverkehr prosperiert. Ein Erfolg wäre m.E. jedenfalls langfristig vorprogrammiert und authentischer kann ein solcher Ort kaum sein! So was läßt sich zwar sicher nicht von heut’ auf morgen umsetzen, sondern da muss man schon in Dekadengrößen denken und planen. Ich weiß auch nicht, wie der Ignoranz der Regional- und Provinzpolitiker und sonstiger angeblicher Lokalpatrioten beizukommen ist.

Jedenfalls wünsch' ich Dir viel Glück beim nächsten Besuch in Lollove, auch mal Gavina zu treffen. Mit Sicherheit eine tiefschürfende menschliche Begegnung!
 
Zuletzt geändert:
@Beppe,
vielen Dank für die Übersetzung! das ist ein toller Beitrag :)
jetzt steht Lollove auf der Wunschliste für nächstes Jahr...
dank NRW-Treffen wurde ich auf deinen Beitrag aufmerksam... dort wurde es mit Begeisterung darüber berichtet...
Liebe Grüße,
Barbara
 
@Barbara

grazie für Deinen Dank und Dein überschwengliches Kompliment .
Erstaunlich jedenfalls für mich, daß auf einem Forums-Treffen mit einer so offensichtlichen >>Begeisterung<< darüber berichtet wurde.
Damit hätte ich jedenfalls nicht gerechnet. Eigentlich brachte mich erst Bo-Ju's Begeisterung nach
Lesen des italienischen Originals auf die Idee, dies auch dem "Rest der Forums-Runde" im Wege einer Übersetzung
zugänglich zu machen. Scheint mir jedenfalls - Deiner Aussage zufolge - augenscheinlich irgendwie gelungen zu sein.

Dann halt Lollove mal auf Deiner Wunschliste für's nächstes Jahr.
Für diejenigen, die vielleicht jetzt noch im November auf der Insel sind:

Vom 9.-11.11. sind in Lollove die Cortes Apertas.
Auch dies sicherlich ein Anlaß mal einen Abstecher dort hin zu machen.
 
@ Beppe,

Ja, ist dir sehr gut gelungen. Auf deine Bemerkung vom 19.9. über das gemeinsame Sitzen auf den Steinstufen kann ich nur sagen: wenn ich ein Kissen mitbringen kann, gerne. Mit harten Stufen und Knien hab ich langsam Schwierigkeiten. :D Gruss Ju
 
Hallo Beppe,

was meinst Du wohl, was so auf Forentreffen gesprochen wird??????

Nicht über andere Leute, sondern über Sardinien.......und das so intensiv, daß man diese Treffen als kleinen Urlaubsersatz ansehen kann. Sardinieninfizierte unter sich und dann noch eine lustige Truppe, was will man mehr.

Klar Meer :)

LG

Dieter
 
Hallo @Beppe

Es gibt nur wenige Arbeitsmöglichkeiten für diejenigen, die bleiben und die Aussichten hinsichtlich einer weiteren Entvölkerung in den kommenden Jahren sind eher düster.
Ich wurde erst jetzt auf diesen Beitrag aufmerksam. Danke für deine geniale und mitreißende Übersetzung!

Was mich nun als "Sardinien-Neuling" interessieren würde: was haben die Menschen, die 1950 noch im Dorf gelebt haben, gearbeitet? Wovon lebten sie? Wie haben sie ihren Lebensunterhalt damals bestritten? Was wurde aus den Tätigkeiten, die sie damals wahrgenommen haben?


unwissendes Grüssle
Jürgen
 
@joggele

die Einwohner von Lollove lebten fast ausschließlich von der Landwirtschaft (Ackerbau und Viehzucht).
Im Ackerbau wurden vornehmlich Weizen und Gerste sowie Saubohnen angebaut.
Und natürlich hatte fast jeder Einwohner für den eigenen Bedarf seinen eigenen Gemüse- und Obstgarten.

In der Viehzucht hatte man Kühe, Schafe, Ziegen und Schweine.

In den Bächen und Flüssen um Lollove wurden Aale und Forellen gangelt und auch die Jagd auf Wildschweine,
Rot- und Niederwild war teilweise wohl einträglich. Die Wälder um Lollove lieferten reichlich Nutzholz.

In den Annalen von 1950 werden gerade mal 12 Bewohner als "Handwerker" bezeichnet, d.h., sie gingen einer
Beschäftigung nach, die nicht primär mit Ackerbau- und Viehzucht zusammenhing (wie z.B. Maurer, Schreiner, Schmied,
Müller, Klempner, u.a.).

Die Tätigkeiten wurden offensichtlich alle nahezu eingestellt bzw. ins nahe Nuoro verlagert.






.
 
Zuletzt geändert:
Hallo Beppe,

danke für deine Info.
Man könnte also im weitesten Sinne davon sprechen, dass sie dem Fortschritt zum Opfer gefallen sind ... :(?!? Irgendwie schade ...


Grüssle
Jürgen
 
Wie in der Nuova Sardegna heute mitgeteilt wird, ist die in Beitrag #9 + #10

"Durch die Straßen von Lollove"

erwähnte Gavina - 'die letzte Hüterin und Schlüsselhalterin von Lollove' - nunmehr im Alter von 100 Jahren verstorben. Tzia Gavinedda Puggioni vestarb bereits gestern abend.

Wie in Beitrag #9 + #10 erzählt, lebte Gavina ihr ganzes Leben allein. Für viele, die nach Lollove kamen, war Gavina ein leuchtendes Vorbild und Inbegriff hinsichtlich Bildung und Kultur sowohl für Lollove als auch für Nuoro.
Kurzum: Gavina war das historische Gedächtnis von Lollove.

Tragisch gerade am Tag ihres Ablebens: Just gestern kam das technisch und wissenschaftliche Komitee "Borghi più belli d'italia" in Lollove zusammen.

RIP Gavina
 
Zuletzt geändert:
Lollove Wiedergeburt eines Ortes, eine totgeborene Illusion oder einfach nur eine zukünftige Geldvernichtungsmaschine?

Wie einer Meldung der Nuova Sardegna heute zu entnehmen, besuchen zur Zeit etwa 50 Touristen den Ort. In Lollove leben derzeit 12 Einwohner und vor 4 Jahren ware es sogar nur 6 Einwohner. Dies entspricht immerhin exakt einem Anstieg von 100% der Enwohnerzahl. Sind dies bereits Anzeichen für einer Wiedergeburt des Ortes, ausgelöst durch einige 'Neuankommlinge'?

Viele hoffen, daß die ca. 70 verlassenen Häuser des Ortes in der Zukunft wieder mit Leben gefüllt werden und sich eine lebendige Gemeinschaft heranbildet. Aber bis dahin ist es noch ein sehr, sehr langer Weg.

Die Gemeindeverwaltung versucht zur Zeit mit einer Gruppe von Privatpersonen Lollove in die Liste der schönsten (???) Dörfer Italiens aufzunehmen. Hierzu beteiligt man sich an einer Ausschreibung (die im Idealfall bis zu 10 Millionen Euro für wichtige Infrastrukturmaßnahmen beisteuern könnte).
Jedenfalls scheint man auffälligerweise Notiz davon genommen zu haben, daß man hier zukünftig
sowohl Wirtschaft als auch Kultur gemeinsam betreiben kann.

Seit einem Jahr ist auch ein 'Förderverein' aktiv und hat sich zur treibenden Kraft zwischen einigen weiteren Initiativen entwickelt. Allein, die 'Klein-Klein Initiativen' einiger Privatpersonen reichen vorne und hinten nicht, notwendige Restaurierungs-, Wiederaufbau- und Restrukturierungsmaßnahmen durchzuführen.

Solange nicht auch die öffentliche Hand mit einem rigorosen Wiederaufbau- und Wiederbelebungsprogramm sich nicht hieran beteiligt, solange sehe ich persönlich äußerst schwarz für Lollove. Lollove ist und bleibt ein bedauernswerter Schandfleck und Beispiel 'par exellence' verfehlter sardischer Gebiets- und Ortsentwicklungspolitik.
Wir schreiben hier im Forum nahezu schon fast 10 Jahre über Lollove - passiert ist seitens der Regionalriegierungen in all den Jahren absolut nichts !!!

Quelle:
 
Zuletzt geändert:
Hm......verstehe ich falsch? Scheint nämlich, dass im Netz Berichte sind, die das Dorf als schön und ja etwas mystisch beschreiben..

 
@MariaJ. schau dir meine Fotos oben an, mystisch schon, aber das Dorf als solches kann man nicht als schön beschreiben, man sieht fast nie Menschen, alles wie ausgestorben.

Schon im Jahr 2914 habe ich hier im Forum über meinen ersten Besuch in Lollove geschrieben
https://www.sardinienforum.de/threads/italienische-körpersprache.7083/#post-64838

Der alte Mann von damals ist sicher jetzt schon gestorben, das Dorf ist noch einsamer geworden. Die alte Frau, die ich immer wieder mal gesehen hatte, wie sie ihre Blümchen vor dem Haus gießt, gibt es wahrscheinlich auch nicht mehr. Man sieht, dass ein paar Häuser renoviert sind, man sieht vereinzelt geparkte Autos, aber keine Menschen. Das Kirchentor zum Kirchgarten verschlossen. Ich bin öfter über die Jahre immer mal wieder in Lollove, weil mich das Dorf magisch anzieht, aber es ist schon traurig, dass man dieses so schön gelegene Dorf mit antiken Häusern verfallen lässt.
 
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